"Wir Wehren uns einfach zu wenig"

In: Datum. Seiten der Zeit, November 2007

Interview by Anna Giulia Finck

Wieso erlaubt Sudans Präsident Omar al Bashir plötzlich UN-Truppen in Darfur?

Al Bashir hat äußerst erfolgreich verhandelt: In Darfur selbst wird es keine reine UN-Friedenstruppe, sondern eine gemeinsame Truppe mit der Afrikanischen Union (AU) geben, die - mit Ausnahme von 315 chinesischen Soldaten - ausschließlich aus Afrikern besteht. Es ist das erste Mal in der Geschichte der UN, dass das Land, in das Truppen geschickt werden, an den Verhandlungen teilnehmen und sogar den Ausgang mitbestimmen darf.

In wiefern wird dieser "Erfolg" die zukünftige Truppe beeinflussen?

Die Truppen sollen in erster Linie die Zivilbevölkerung beschützen. Der Auftrag ist allerdings eingeschränkt, weil die Erstverantwortung für diesen Schutz weiter bei der sudanesischen Regierung liegt. Auf den ersten Blick mag das logisch erscheinen. Aber die Regierung beschützt die Zivilbevölkerung nicht und wird es weiterhin nicht tun - sie attackiert sie eher. Ihr die Erstverantwortung in dieser Situation zu geben, heißt, zu warten, bis sie scheitern. Und sie werden scheitern.

Die bisherige AU-Truppe war mit ihren 7.000 Soldaten überfordert. Ist ein Kontingent von 26.000 Mann ausreichend?

Mit der Anzahl kann man viel machen, wenn genug von ihnen einsatzfähig sind. Wichtig ist, dass sie vor Ort möglichst sichtbar sind, damit Verbrechen erst gar nicht geschehen. Es kommt auch auf die Zusammenstellung der Truppe an - und auf die Zustimmung, dass sie bleiben werden, bis die Menschen wieder von den Flüchtlingslagern nach Hause gehen können.

Die sudanesische Luftwaffe greift bis heute - ungeachtet des Verbots der Vereinten Nationen - die Bevölkerung an. Erwarten Sie sich Erfolge von den Verhandlungen?

Ich bin sehr skeptisch. Vor allem, weil eine der führenden schwarzafrikanischen Rebellentruppen - die Sudanesische Befreiungsbewegung von Abdel Wahid al-Nur (SLM-AWN) - bereits erklärt hat, dass sie nicht teilnehmen wird. Außerdem bin ich skeptisch, weil der Sicherheitsrat in seiner ganzen Weisheit erklärt hat, dass es, was die Friedensaktivitäten angeht, keine Änderungen im bisherigen Abkommen geben wird. Dieses hat allerdings bisher nichts gebracht.

Die Rebellen sind untereinander gespalten: Wie können Verhandlungen oder ein Abkommen überhaupt möglich sein, wenn es keinen klaren Verhandlungspartner mehr seitens der Rebellen gibt?

Anfangs war es noch nicht so schwierig wie heute, weil es nur drei Gruppen gab. Den größten Fehler haben Großbritannien und die USA gemacht, als sie 2006 zu einem Abkommen gedrängt haben, ohne die Unterschrift der SLM-AWN-Rebellen einzuholen - entgegen den Ratschlägen aller Experten.

Was für eine Rolle spielt die regierungsnahe Janjaweed-Miliz im Friedensprozess?

Die Janjaweed sind nicht interessiert an Frieden, nur an Kämpfen und Töten. Die Regierung hatte eigentlich versprochen, sie zu entwaffnen, hat es aber nicht eingehalten oder war möglicherweise dazu gar nicht mehr in der Lage. Die Miliz ist heute zu stark und unabhängig, einige von ihnen wurden bereits in die staatliche Armee integriert und führen ihre Verbrechen jetzt einfach in neuen Uniformen fort. Das Mandat der zukünftigen Truppe hätte deswegen auch die Bekämpfung der Janjaweed umfassen sollen. In jeder UNO-Resolution kamen die Janjaweed und ihre Entwaffnung bisher vor. In der jetzigen nicht mehr. Unter anderem hat die Regierung auch deswegen zugestimmt - ein weiterer Erfolg für Khartum.

Was halten Sie von dem Argument, dass eine afrikanische Truppe besser mit der Bevölkerung zusammenarbeiten kann als eine "weiße" Truppe?

Ich habe das Gefühl, dass Khartum glaubt, afrikanische Truppen leichter manipulieren zu können.

Haben die Vereinten Nationen deshalb auf die Präsenz ihrer Truppen bestanden?

Die AU-Truppe war an sich nicht schlecht, sie konnte nur aufgrund mangelnder Ressourcen nicht arbeiten. Die afrikanischen Länder sind arm und haben nur deshalb Truppen in den Sudan geschickt, weil die USA und die EU Geld versprochen haben. Aber die Soldaten wurden nicht bezahlt und mussten immer wieder um Geld betteln. Jetzt, wo es auf Basis des Sicherheitsrates eine afrikanische Truppe gibt, wurde das Geld garantiert. Die Truppe wird also arbeiten können. Außerdem hat der UNO-Sicherheitsrat jetzt die Möglichkeit, sich einzuschalten, falls etwas schief läuft. Es gibt also eine stärkere Rückendeckung.

Wie definieren Sie die Verbrechen, die heute in Darfur stattfinden?

Massentötungen, Verletzungen der Menschenrechte und Folter.

Sind das weniger gravierende Gründe als ein Genozid, um einzugreifen?

Nein, das reicht natürlich bei weitem aus. Ich bedaure die ganze Diskussion, um welche Art des Verbrechens es sich im Sudan handelt. Da geht es nur um Semantik. Man muss handeln, weil Menschen getötet werden und nicht erst dann einschreiten, wenn es sich um Völkermord handelt.

Hätte die UN von "Genozid" gesprochen, wäre sie - laut der Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Völkermords - bereits 2003 dazu verpflichtet gewesen, einzugreifen ...

Das Problem ist, dass der Darfur-Konflikt 2003 für die UNO noch gar kein Thema war. Sie hat erst 2004 angefangen darüber zu reden - was sehr eigenartig ist, denn die Amerikaner wussten 2003 bereits, dass dort ein Genozid passiert.

Warum hat die UN das Problem dann erst 2004 auf ihre Agenda gesetzt?

Das ist die große Frage. Viele UNO-Mitarbeiter und Vertreter von Ländern haben den Sicherheitsrat schon früher dazu aufgefordert, tätig zu werden. Aber bestimmte Mitglieder des Sicherheitsrates, allen voran die USA, wollten das Thema nicht auf die Tagesordnung setzen. Die erste Sitzung zum Thema Darfur fand erst im Juli 2004 statt, als bereits 200.000 Menschen umgebracht worden waren. Die westlichen Länder haben sich schuldig gemacht, indem sie das Problem viel zu lange ignoriert haben. Warum, weiß ich nicht. Vielleicht steckten Interessen einzelner Länder dahinter, vielleicht galt die Priorität der UN zu dem Zeitpunkt aber auch anderen Themen.

Ende Oktober 2006 erklärte sie die sudanesische Regierung zur "persona non grata". Daraufhin ließ die UN Sie nicht mehr an Verhandlungen teilnehmen ...

Ich war überrascht. Ich habe keine Rückendeckung bekommen und wurde plötzlich nicht mehr nach meiner Meinung gefragt. Die UNO wollte lieber der Regierung im Sudan entgegenkommen.

Ende August wurden der EU-Chefdelegierte im Sudan, Kent Degerfelt, und die kanadische Geschäftsträgerin in Khartum, Nuala Lawlor, des Landes verwiesen, nachdem sie einen Brief unterschrieben hatten, in dem sie die Einhaltung der Menschenrechte bei der Verhaftung eines oppositionellen Politikers eingefordert hatten.

Ja, das ist unglaublich! Die EU hätte sagen müssen, dass das nicht akzeptiert werden kann. EU-Entwicklungskommissar Louis Michele hat sich sogar bei der Regierung entschuldigt. Die Kanadier hingegen haben Rückgrat bewiesen und gesagt, dass es nichts zu entschuldigen gibt. Michele aber ist auf die Knie gefallen. Das heißt ja dann in den Augen Khartums, dass die Regierung mit allem davonkommen kann. Das ist nicht die Art und Weise, wie eine internationale Organisation arbeiten sollte!

Auch NGOs müssen ihre Camps abbauen, weil sie die Regierung kritisieren ...

…und niemand protestiert. Diese Organisationen stehen unter ständigem Druck durch die Schikanen der Regierung und bräuchten dringend Rückendeckung vor Ort. Man gibt ein sehr schlechtes Beispiel ab, weil die UN und EU sich einfach nicht gegen solche Praktiken wehren. Die Regierung will damit zeigen, dass sie die Kontrolle über die Vorgänge hat. Und sie wollen die internationalen Vertreter im Sudan einschüchtern.

Und was halten Sie von Ban Ki Moon, der den Darfur-Konflikt zum Schwerpunkt in seiner Amtsperiode machen will?

Ich kenne ihn nicht. Kofi Annan und er dürften einen unterschiedlichen Führungsstil haben - seiner ist scheinbar davon geprägt, mehr hinter verschlossenen Türen zu tun.
Finck