"Wir werden noch mehr Opfer und Leid sehen"Suddeutsche Zeitung, 27 November 2006Originele artikel
Jan Pronk, Sudan-Beauftragter der Vereinten Nationen, wurde im Oktober aus Khartum ausgewiesen, weil er dem Regime zu unbequem geworden war. Pronk hatte von verlorenen Schlachten der Armee in Darfur berichtet, die Generäle warfen ihm daraufhin „psychologische Kriegsführung“ vor. Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung geißelt der Niederländer den Militarismus der sudanesischen Regierung und die Engstirnigkeit der Weltgemeinschaft im Umgang mit Darfur. SZ: Herr Pronk, bereuen Sie heute, dass Sie Informationen über das sudanesische Militär preisgegeben haben? Pronk: Nein, ich bereue das nicht. SZ: War dies nicht zu undiplomatisch für einen Mann in Ihrer Position? Pronk: Die Sache ist sehr einfach. Die Regierung des Sudan hat das Friedensabkommen in Darfur gebrochen, das es unterzeichnet hat. Und sie verletzt das Abkommen noch immer. Sie bombardiert Dörfer. Sie mobilisiert immer mehr Truppen, anstatt die Reitermilizen zu entwaffnen. Sie sucht immer noch eine militärische Lösung. Und sie verfolgt diese Strategie mit großer Geschlossenheit. Die Zahl der Opfer in Darfur ist in diesem Jahr wieder gestiegen. Darum geht es. SZ: Die Internationale Gemeinschaft hat kaum protestiert, als Sie aus Khartum hinausgeworfen wurden. Pronk: Die Reaktion der Weltgemeinschaft hätteschonstärker ausfallenkönnen. SZ: Mit Sanktionen zum Beispiel? Pronk: Das muss die internationale Gemeinschaft entscheiden. Aber sie hat bislang überhaupt nicht auf den Bruch des Friedensabkommens in Darfur reagiert. Das ist bemerkenswert. Jede Antwort wäre besser gewesen als gar keine. SZ: China wird oft dafür gegeißelt, dass es seine schützende Hand über Khartum hält. Tut der Westen denn genug, um auf Peking einzuwirken? Pronk: Dieser Dialog ist bislang nicht effizient gewesen. Die fünf Vetomächte des Sicherheitsrats müssten viel mehr darüber reden, um eine gemeinsame Linie in Darfur zu finden. Schließlich sollten doch alle ein Interesse an Frieden und Stabilität in der Region haben. SZ: Warum ist die Weltgemeinschaft in Darfur dann so untätig? Pronk: Das weiß ich nicht. Auf jeden Fall ist sie viel zu sehr fixiert auf die geplante Stationierung einer UN-Truppe. Viele betrachten sie als Allerheilmittel, aber das ist sie nicht. Es gäbe jetzt andere Schritte, um voranzukommen. SZ: Welche zum Beispiel? Pronk: Ich habe dem Sicherheitsrat einen Fünf-Punkte-Plan vorgelegt: Unbedingt muss das Friedensabkommen verbessert werden, alle Parteien müssen mit an Bord kommen, auch dieRebellengruppen, die nicht unterzeichnet haben. Dies scheint mir immer noch möglich. Und es muss ein echter Waffenstillstand her. SZ: Der Westen beklagt oft, dass Khartum eine schlagkräftige UN-Truppe blockiere, die nötig sei, um Zivilisten vor den Reitermilizen zu schützen. Ist die Afrikanische Union mit ihrer Mission in Darfur schon am Ende? Pronk: Die AU kann ihre Aufgaben erfüllen, aber dann muss man sie auch entsprechend finanzieren: Das heißt, man müsste sie wie eine entsprechende Blauhelmtruppe mit einer bis eineinhalb Milliarden Dollar pro Jahr ausstatten. Und sie bräuchte 17 000 Soldaten. Warum sollten diese Friedenstruppen denn nicht aus Afrika kommen? Afrikaner sind keine schlechteren Soldaten als andere. SZ: Khartum bringt gelegentlich ins Spiel, dass UN-Truppen einen islamistischen Dschihad provozieren könnten, mit Selbstmordattentätern und Al-Qaida- Terroristen. Ist dies ein rhetorischer Trick oder eine reale Gefahr? Pronk: Die Gefahr gibt es immer. Deshalb ist es so wichtig, wie diese Truppe ins Land kommt und wie sie zusammengesetzt ist. Islamische Staaten sollten teilhaben und afrikanische Länder. In jedem Fall sollte man vermeiden, die Stationierung als Intervention zu bezeichnen. SZ: Und wenn nun doch nichts vorangeht in Darfur, wie ist Ihre Prognose für die kommenden Jahre? Pronk: Wir werden noch mehr Opfer sehen und noch mehr Leid, überall nur Verzweiflung und Perspektivlosigkeit. Solange es keine Lösung für Darfur im Westen des Landes gibt, wird der ganze Sudan keinen Frieden finden. Interview: Arne Perras |
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